Über NFTs kann man wunderbar streiten. Bei den Fans der Non-Fungible Token, in etwa "nicht austauschbare Wertmarken", liegt die Faszination irgendwo zwischen Kunst und Technologie, Goldgräberstimmung und Sammelleidenschaft. Kritiker sprechen von einer Bubble und unnötigem Hype, der wenige reich macht – und viele um ihr Geld bringt.
Tatsächlich hat das vergangene Jahr mit einigen negativen Ereignissen und Crashes gezeigt, dass NFTs keine besonders stabile Geldanlage sind: Ende 2022 waren sie deutlich weniger wert als noch im Vorjahr. Ganz neutral betrachtet, sind NFTs digitale Güter, die man klar einer Person zuordnen kann. Wenn also deine Tante Claudia ein Foto von deinem Onkel Klaus macht und es als NFT minted (so heißt der Erstellungsprozess bei einem NFT) ist sie die Besitzerin des Fotos/NFTs. Wenn sie es Klaus schenkt, ist er der Besitzer. Klar kann jeder aus der Familie einen Abzug davon haben, aber es gibt eben nur das eine Original von Claudia. Für Familienfotos ist das vielleicht überzogen, aber wenn die Technologie sich durchsetzt, könnte beispielsweise das fehlende Scheckheft deines Twingos oder dein Flugticket an den Goldstrand ein NFT sein.
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Künstlerinnen und Künstlern erleichtern NFTs seit einigen Jahren, mit ihren Werken Geld zu verdienen – ganz ohne dass Galerien oder andere Gatekeeper sich einmischen können. Dadurch kann dann auch der Typ, der dir dein Essen liefert, plötzlich mit NFT-Kunst Millionen verdienen. So wie der 25-Jährige YON FRULA, der seinen richtigen Namen nicht preisgibt und in Berlin für den Essenslieferservice Lieferando gearbeitet hat – bis er mit NFT-Kunst erfolgreich wurde.
VICE: Du kommst aus Argentinien. Wie bist du in Berlin gelandet?
YON FRULA: Nach meinem ersten Jahr Studium in Grafikdesign wollte ich unbedingt raus und was anderes sehen. Neben einem Visum nach Frankreich, kann man das Deutsche Visum aus argentinischer Sicht am unkompliziertesten beantragen. Nach einer Zeit in Frankreich bin ich in Deutschland gelandet. Ich wusste gar nichts über das Land und hatte keine Ahnung, was in Berlin so geht. Ein Kumpel hat mir vom Berghain erzählt, aber das wars dann auch. Zuerst konnte ich dort bei einer Bekannten aus meiner Heimat unterkommen. Dann habe ich ein zu kleines Zimmer in einer zu kleinen spanischsprachigen Vierer-WG in Friedrichshain gefunden.
Wie war es, in Berlin Essen auszuliefern?
Als ich 2019 in Berlin ankam, war ich deprimiert. Ich wusste nicht, wohin mit meinem Leben und es fiel mir schwer, jeden Morgen aufzustehen und Bewerbungen zu verteilen. Eigentlich wollte ich tätowieren und habe das auch in Bars und bei Leuten zu Hause gemacht. Aber ich konnte kein festes Studio finden. Der leichteste Weg, um als Ausländer in Deutschland an einen Job zu kommen, ist Essen auszuliefern. Und das klang cool. Du bekommst ein E-Bike und fährst damit rum. Klar strampelst du dich ab und denkst dann, dass du jetzt noch fünf Lieferungen machst und dann kommt der nächste Euro rein. Aber du siehst jede verdammte Ecke der Stadt, von den schäbigsten Vierteln bis zum reichsten Schnöselstadtteil. Es war zwar arschkalt und es hat viel geregnet, aber es war geil. Das war vielleicht der beste Job, den ich je hatte, abgesehen vom Künstler sein.
Wie kamst du dazu, Kunst zu machen?
Schon als Kind war ich von Cartoons besessen, habe Pokémon, Digimon und andere Charaktere aus TV-Sendungen gezeichnet. Musiker zu malen war aber vermutlich der größte Teil meiner früheren künstlerischen Schaffens. Irgendwann hatte ich dann eine Kopie von einem Buch von Matt Groening, in dem er Schritt für Schritt zeigt, wie man die Simpsons malt. Homer könnte ich dir mit verschlossenen Augen malen. Ich habe dann in Argentinien ein Grafikdesign-Studium begonnen und einen Workshop mit Illustratoren gemacht. Danach habe ich meinen ersten "erfolgreichen" Charakter entwickelt: Einen Arsch mit Gesicht und Schnurrbart aus Scheiße. Alle Mentoren fanden ihn super. Also habe ich ihn überall hin gemalt und Sticker produziert. In der Uni war ich dann der Typ mit den Ärschen. Von da an war Character-Design mein Thema und mein ultimatives Ziel, etwas zu schaffen, was so ikonisch ist, wie Mickey Mouse oder die Simpsons. Du brauchst nur die Silhouette sehen und weißt, was es ist. Das versuche ich heute auch mit meinen eigenen Charakteren.
Wie bist du zu NFTs gekommen?
Durch Covid und die entsprechenden Maßnahmen konnte ich nicht mehr in Deutschland arbeiten. Ende März 2020 reiste ich mit der letzten Maschine nach Argentinien zurück. Dort war ich pleite und wollte wieder Tattoos machen, musste mir aber eingestehen, dass ich von fünf Dollar pro Tattoo nicht leben kann. Ich habe im Internet nach etwas gesucht, womit ich Geld verdienen kann und bin auf einen Post des argentinischen Künstlers KidMograph gestoßen. Er verkaufte NFTs. Für mich sah es aus, als würde er digitale Kunstdrucke verkaufen, aber eben für die Kryptowährung Ethereum. Mit Krypto kannte ich mich schon etwas aus. Nach ein paar Wochen Recherche ging dann mein erstes NFT in einer Art Auktionshaus auf Telegram über den Tresen. Das hat mir damals etwa 200 US-Dollar eingebracht, fünfmal mehr, als die Albumcover-Design-Gigs, die ich mir vorher bei Reddit herangezogen hatte. Das war im Herbst 2021 und seitdem habe ich nicht mehr aufgehört.
Warum hast du dich dazu entschieden, dich stärker auf NFTs zu konzentrieren?
Natürlich war am Anfang das Geld ein treibender Faktor. Ich hatte kein Einkommen und Freelance-Jobs kamen auch nicht rein. Als ich mich dann mit der Community auseinandergesetzt habe, ist mir klar geworden, dass wir Teil einer Art neuen Renaissance sind. Das ist eine Kunstbewegung, die irgendwann mal in Geschichtsbüchern stehen wird. Ich glaube aber auch, dass man mit NFTs und der ganzen Blockchain-Technologie die eigene Kunst weiter treiben kann, als nur ein einzelnes Kunstwerk, das du als JPEG verkaufst. Das ist auch der Punkt, an dem ich angefangen habe an meinem eigenen Projekt, den PEACEFUL GROUPIES zu arbeiten. Eine Kollektion, die nicht einfach ein Kunstwerk ist, sondern gleich 10.000 Kunstwerke.
In der NFT-Szene gibt es Einzelstücke, die sogenannten 1/1. Und es gibt Editionen, also beispielsweise 50 Editionen von einem Kunstwerk, das dann 50 Leute besitzen können. Warum hast du dich dafür entschieden, gleich 10.000 Kunstwerke zu veröffentlichen?
Leute kennen so was ja schon von Baseball- und Basketballkarten. Ein Grund für PEACEFUL GROUPIES war, dass ich überall diese beschissenen 10.000er-Projekte gesehen hatte, bei denen die Leute sich einen Dreck um die Kunst geschert haben. Für mich ist das auch ein Profile-Picture-Projekt, aber gleichzeitig wollte ich es so machen, dass es sich so anfühlt, als hätte man wirklich ein Kunstwerk in seinem Besitz.
Was meinst du mit Profile-Picture-Projekt?
Die NFTs aus Profile-Picture-Projekten können von ihren Besitzern als ihre digitale Identität benutzt werden, durch ihr Profilbild. Sozusagen die Art und Weise, wie sie gesehen werden wollen im Internet. So etwas wie die Maske, die sie aufsetzen, wenn sie online gehen und ihr wahres Ich zeigen.
Hast du auch deswegen gleich 10.000 Kunstwerke aufgelegt, weil man damit schlicht mehr Geld verdienen kann?
Die kurze Antwort ist nein. Auch wenn Geld einer der Hauptgründe war, mit NFTs zu starten, war das nicht das, worum es mir mit der 10K-Kollektion ging. Ich wollte ein breiteres Projekt aufziehen. Nicht nur ein Kunstwerk kreieren, sondern gleich ein ganzes Universum. Außerdem wollte ich den Leuten zeigen, dass auch ein 10.000er-Projekt Kunst sein kann und nicht einfach nur hässliche Bilder von irgendwelchen Tieren.
In der NFT-Welt unterscheidet man zwischen dem Verkauf eines Kunstwerkes und dem Wiederverkauf auf dem Sekundärmarkt. Was ist der größte Betrag, den jemand für deine Kunst auf diesen beiden Wegen bezahlt hat?
Ich glaube der größte Betrag, den jemand für ein 1/1 von mir bezahlt hat, war auf der Plattform Superrare. Das waren um die 3,5 Ethereum, was im September 2022 etwa 4.600 US-Dollar entsprach. Mein erstes Werk auf Superrare habe ich für 2,4 Ethereum verkauft, das waren bei dem damaligen Kurs aber noch 6.000 US-Dollar. Ein PEACEFUL GROUPIE wurde auf dem Sekundärmarkt für 30 Ethereum verkauft [Anm. d. Red.: Beim Verkauf am 28. September 2022 entsprach das etwa 40.000 US-Dollar]. Dann kommt ein anderer mit 25 Ethereum, dann 20 und dann 19,999, 15, 11 und so weiter. Aber 30 Ethereum ist das höchste, was jemals jemand für ein NFT von mir gezahlt hat.
Dieses Groupie, Nummer 7.265, wurde am 28. September 2021 für 30 Ethereum verkauft. Zum damaligen Zeitpunkt entsprach das etwa 84.000 US-Dollar.
Wie viel Geld hast du insgesamt mit NFTs verdient?
Im Sinne einzelner Kunstwerke, die ich als NFT verkauft habe, habe ich vielleicht 30 bis 40 Ethereum gemacht. Ohne die PEACEFUL GROUPIES. Als wir die herausgebracht haben, mit dem damaligen Ethereum-Kurs, haben wir mit allen 10.000 Stück etwa 3,5 Millionen Dollar eingenommen. Davon ging dann einiges an die Entwickler und so weiter. Mein Kunstprojekt PEACEVOID, über das ich die PEACEFUL GROUPIES herausgebracht habe, hat etwa 2 Millionen behalten. Auf dem Sekundärmarkt wurden sie bisher für etwa 12.000 Ethereum gehandelt, was uns auch nochmal über 2 Millionen US-Dollar an Lizenzgebühren eingebracht hat.
Anm. d Red.: Alle Transaktionen zum Peaceful-Groupies-Projekt kann man auf der Analyseplattform Etherscan nachvollziehen.
Krypto und NFT haben mitunter einen negativen Ruf, auch weil sie anfällig für Betrug sind – wie stehst du dazu?
Ich kann das total verstehen! Der NFT-Space, Blockchain und Krypto sind für Außenstehende schwer zu durchblicken. Das sorgt für Verunsicherung – und FOMO. Leute haben Angst, etwas zu verpassen, das sie nicht richtig verstehen. Wenn du jemanden scammen willst, ist das natürlich ein Schlaraffenland. Und der Space ist voll mit Gaunern. Die sind Teil des Internets und speziell von allem, was mit Krypto zu tun hat. Es ist anonymes Geld und sie können damit machen, was sie wollen. Also verstehe ich, wenn Leute das so sehen. Hoffentlich arbeiten wir hart genug auf der guten Seite, um Leuten zu zeigen, wie sie sich im Web3 verhalten müssen, um nicht auf Scams reinzufallen.
Bei NFT-Projekten, die einem die Welt versprechen und dann mit dem eingenommen Geld abhauen, spricht man von Rug-Pulls. Das kommt nicht selten vor. Hast du selbst schon mit dem Gedanken gespielt, so etwas durchzuziehen?
Ich habe nicht ein einziges Mal daran gedacht, mit der Kohle abzuhauen, lol. PEACEVOID ist mein Lebenswerk, ich will das bis zu meinem Tod machen. Und hoffentlich wächst es auch danach noch weiter. Ich bin immer besorgt und gestresst, wenn ich zu viel arbeite. Aber ich genieße das irgendwie. Ich kann einfach nicht chillen. Selbst, wenn ich mit Kumpels abhänge, denke ich immer an die eine Sache, die ich noch zu Hause machen will und kann das dann gar nicht genießen. Aber ich glaube nicht mal, wenn ich 100 Millionen machen würde, könnte ich sagen: "Ach, ich hänge jetzt einfach am Strand ab." Ich wollte immer unabhängig von meinen Eltern sein und meinen eigenen Weg gehen. Und das hält mich am laufen.
Es gibt dieses Klischee von kreativen Menschen, denen es nicht gelingt, ihre Fähigkeiten zu Geld zu machen. Können NFTs das erleichtern?
Es kommt echt drauf an. Ich habe zum Beispiel als Kind kleine Comics gemalt und an meine Eltern vertickt. Als ich ein Handy haben wollte, habe ich das alte von meinem Dad verkauft und mich dann hoch gehandelt bis zum neuesten Motorola. Als ich Albumcover auf Reddit verkaufen wollte, rieten mir ein paar Illustratoren-Freunde ich solle das in Designer-Foren posten. Warum sollte man das machen? Ich suche doch keine Kollegen, sondern Kunden. Du musst einfach verstehen, wo du deine Arbeit platzierst. Klar sind im NFT-Space an sich schon Leute, die NFTs haben wollen und das ganze bringt dich näher an potentielle Kunden. Aber es gibt einfach viele krasse Künstlerinnen und Künstler, die nicht diese Sales-Mentalität in sich tragen.
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Author: Corey Simmons
Last Updated: 1697934004
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